Dispatches From Elsewhere – Wenn Realität und Fiktion verschwimmen
Peter (Jason Segel) ist ein unscheinbarer Programmierer in Philadelphia bei einem Startup ähnlich Spotify. Ironischerweise hat der Vierzigjährige selber keinen eigenen Musikgeschmack oder Interessen, geschweige denn eine Persönlichkeit. So dümpelt er durch sein ereignisloses Leben, bis ihm eines Tages an den Laternenpfählen auf seinem Weg von und zur Arbeit diese außergewöhnlichen Zettel auffallen. Auf diesen von einem ominösen Jejune Institut ausgestellten Blättern ist die Rede von Kommunikation mit Delfinen, Energiefeldern oder Medien zu Geist Kommunikation. Peters Interesse ist geweckt und er ruft die angegebene Nummer an, um schon bald zu einer Einführung in einem Büro im Bankenviertel eingeladen zu werden.
Ähnlich ergeht es auch den anderen drei Protagonisten: Simone (Eve Lindley), der ein wenig im Leben verlorenen Kunststudentin, Janice (Sally Field), die immer optimistische Rentnerin, die im Leben nie an sich selber gedacht hat und der bis zur Paranoia hochanalytisch denkende Fredwynn (André Benjamin) mit fotografischem Gedächtnis, der zwar Zugang zu seinem Gedankenpalast hat, jedoch keinen zu seinem emotionalen oder sozialen Denken.
Alle vier bekommen unabhängig voneinander die Videoeinführung durch den Gründer in die esoterisch anmutende Welt des Jejune Instituts (welches schwer an die Dharma Initiative aus Lost erinnert), in der es um Geheimnisse und Symbole geht, die es zu lesen lernen gilt und die überall in der Stadt verteilt sind. Das Ziel ist es eine junge Frau namens Clara zu finden, nach der sowohl das Institut sucht, wie eine mutmaßliche Widerstandsbewegung, die sich die Anderswo Gesellschaft nennt. So bekommen die Auserwählten auch widersprüchliche Botschaften von beiden Seiten und müssen sich immer wieder Aufgaben stellen, die sie aus ihrer Komfortzone herausholen.
Letztlich treffen die vier Protagonisten als ein sehr ungleiches Grüppchen aufeinander und bilden ein Team, als sie durch ein Farblosverfahren (blaue Tischtennisschläger) bei einem großen Happening in einem Park zusammen mit hunderten anderen Teilnehmern zusammen gewürfelt werden.
Ob es sich bei dem ganzen denn nur um ein Spiel handelt, oder ob es real ist, oder doch eine Verschwörung, sind die Fragen, die sich die Gruppe immer wieder stellen muss, während sie sich auf die Suche nach dem außergewöhnlich Mädchen begeben, welches die Gabe der sogenannten göttlichen Nonchalance haben soll. Dabei handelt es sich um eine Art kreative Kraft, die die Wunder um uns herum sichtbar machen kann und das Bewusstsein der Menschen für die versteckte Schönheit in der altäglichen Welt schärfen soll. Diese Geschichte zieht die Vier immer weiter in ihren Bann und konfrontiert sie auch immer wieder mit sich selbst und ihren Ansichten, während sie den Hinweisen und Botschaften dieser urbanen Schnitzeljagd nachgehen. Dabei finden sie fantastische Hinterhofläden, versteckte Botschaften in der Street Art der Stadt und müssen, um positive Energie zu produzieren, öffentlich auf der Straße tanzen, um dann von einem tanzenden Bigfoot und einer Hiphop Crew neue Hinweise zu bekommen.
Klingt verrückt? Ist es nicht wirklich. Denn was Jason Segel hier verarbeitet hat, ist etwas, das zwischen 2008 und 2011 in San Francisco fast genau so stattgefunden hat. Drei Jahre lang haben bis zu 10.000 Teilnehmer an einem hochkomplexen Alternate Reality Game teilgenommen, nur dass das gesuchte Mädchen Eva hieß. Doch all die Elemente, das Jejune Institut, eine Mischung aus Apple und Scientology, die bunten Flashmob-artigen Demonstrationen der Anderswo Gesellschaft, die an eine Mischung aus Pride Parade und Occupy Bewegung erinnerte, die Zettel, das angemietete Büro, die Hinweise, der tanzende Bigfoot und Exkursionen der Teilnehmer bis in die Kanalisation der Stadt. All das wurde so durchgezogen von Jeff Hull, einem Konzeptkünstler aus Oakland, der mit diesem Spiel im Grunde seiner ungeklärt verschollenen Freundin ein Denkmal setzen wollte. Dabei wurde das ganze jedoch auch sehr komplex und einige Spieler verloren sich auch in diesem Spiel. Das ganze ist in dem Dokumentarfilm „The Institute“ bestens zusammengefasst:
Jason Segel, den meisten wahrscheinlich am besten bekannt als Marshall Eriksen in der Sitcom „How I Met Your Mother“, hat mit „Dispatches From Elsewhere“ seine erste eigene Serie produziert und auch bei der ersten und zwei weiteren Folgen Regie geführt. Dabei hat er sich sehr nah an dem in dem Dokumentarfilm geschilderten Begebenheiten orientiert. Dass es dann aber in Philadelphia statt an der Westküste spielt, lag wohl daran, dass die Stadt so viele besondere Orte und Straßenkunst bot, dass es die idealere visuelle Kulisse für die Serie bot.
So hat Segel mit diesem Werk nicht nur eine Liebeserklärung an Philadelphia oder allgemein den potenziellen Zauber des urbanen Lebens kreiert. Mit dem Cast um sich herum hat er zudem auch Charaktere geschaffen, die interessant sind und die alle ihre dunklen Ecken und Verletzlichkeiten haben und trotzdem aus ihrem Schneckenhaus heraus kommen, um gemeinsam mit Leuten, mit denen sie scheinbar nichts verbindet an einer mysteriösen Suche teilzunehmen, bei der sie sich auch in Gefahr bringen. Das Spiel, in der Realität, so wie in der Serie, verbindet Menschen, die sich gegenseitig reflektieren, die sich gegenseitig dazu bringen sich selber infrage zu stellen, Kränkungen und Bestärkungen erfahren und feststellen, dass im Gegenüber auch immer etwas von einem selbst steckt.
Zudem macht die Geschichte auch Lust seine eigene Umgebung neu zu erfahren, genauer hinzuschauen und vielleicht auch das eine oder andere kreative Juwel zu finden oder auch selber zu platzieren. Denn, was das gesuchte Mädchen Clara bzw. Eva ausmachte, war ihre Fähigkeit aus profanen Dingen etwas Magisches zu machen, indem sie dem tristen Alltag etwas künstlerisches entgegensetzte, was die Menschen aus ihrem Trott herausholte.
Daher ist „Dispatches From Elsewhere“ auch eine Einladung an uns alle und das zum denkbar besten Zeitpunkt, sobald es wieder möglich ist, uns auf fremde Menschen einzulassen und Gemeinsamkeiten zu finden und vielleicht auch mit ihnen zusammen, kleine Türen in der Mauer zu suchen, nach Elfenhäuschen in den Bäumen, Wandgemälde, die man nur aus einer bestimmten Perspektive sehen kann oder nach dubiosen kleinen Läden in der Seitenstraße, die am nächsten Tag spurlos verschwunden sind. Nehmen wir den Alltag nicht mehr als was alltägliches hin und versuchen wir etwas interessantes und zauberhaftes daraus zu machen. Und wenn es nur mal ein anderer Weg nach Hause ist, wir in ein ungewöhnliches Restaurant gehen oder für andere Botschaften an öffentlichen Orten hinterlassen. Denn immer das Gleiche ist nun wirklich keine Option mehr.