Kevin Can F**k Himself – Eine Analyse
Ein problematisches Format
Das klassische Sitcom-Serienformat beendete seine beste Zeit spätestens 2019, als die letzte Folge „Big Bang Theory“ über die Bildschirme lief. Das Genre, dass sich über mäßige Witze verstärkt mit Lachen aus der Konserve definierte, befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt im Niedergang. Mittlerweile ist es fast gänzlich verschwunden und fristet sein Dasein nur noch in der Form der Wiederholung alter Serien im Nachmittagsprogramm.
Diese Art der Fernseh-Unterhaltung, die ein nahezu ausschließlich amerikanisches Phänomen beginnend in den 50er Jahren war, hat daher Generationen in ihrer Wahrnehmung von Situationskomik, Ironie, Sarkasmus geprägt, was ebenso durchaus in die Alltagskommunikation eingeflossen ist. Die jahrzehntelange Konditionierung mit Sitcoms haben den Zuschauern Archetypen und Standardhandlungen internalisieren lassen und auch oftmals die Rhetorik und den Humor im realen Leben beeinflusst.
Und ich will nicht ausschließen, mich selber in meinem Kopf schon mehr als einmal zu meiner eigenen Hauptfigur in meiner ganz persönlichen Sitcom gemacht zu haben. Ich glaube, damit stehe ich wohl nicht alleine. Denn Sitcoms sind oft sehr anschlussfähig in der komödiantischen Aufbereitung diverser Alltags-Probleme, die innerhalb von 30 Minuten (inkl. Werbeblock) jedoch immer zur Freude aller gelöst werden konnten. Und wer wünschte sich nicht ab und zu die Schlagfertigkeit von Fran Dreschers Nanny oder den passenden Sarkasmus zur richtigen Zeit, wie ihn Roseanne so herrlich trocken zu vermitteln wusste?
Jedoch gab es auch bis in die letzten Jahre Seiten des Sitcom Genres, die heutzutage wesentlich problematischer wieder anzuschauen sind, als zum Beispiel die beiden oben erwähnten. Es finden sich immer wieder Serien, die durch stereotype Serienfiguren auffielen und auf einer tieferen Ebene bei erneuter Betrachtung reichlich inkompatibel mit heutigen gesellschaftlichen Vorstellungen sind. Die Konditionierung auf den Laugh-Track, also die darüber gelegten Lacher des imaginären Publikums, von dem wir als Zuschauer ja als Teil fungieren, überdecken viele inhaltlich bedenkliche Dialoge. Auf YouTube findet man dazu genug Beispiele, die zeigen, wie psycho- bzw. soziopathisch einzelne Serienfiguren (wie z.B. Ross aus „Friends“) wirken, wenn man die Lacher einmal weglässt.
Bei „Married with Children“ war der Ehemann Al Bundy als Antiheld und die allgegenwärtige Misogynie sozusagen noch ein satirisches Element, mit der sich die Serie in White-Trash-Manier von anderen sauber geleckten Familien-Shows der 80er Jahre abzuheben wusste. Bei späteren Produktionen hingegen lässt sich oft eine tief verwurzelte gesellschaftlich normierte Frauenfeindlichkeit finden, die durch die ständig von Lachern beschallte Situationskomik verschleiert wird.
Ein sehr beliebtes Beispiel für eine solche Serie, welche die Szenen einer Ehe durch den Kakao gezogen hat, ist „King of Queens“, die erfolgreich zwischen 1998 und 2007 lief. An sich eine amüsante Serie, aus dem Leben eines Paketboten und seiner Frau der Rechtsanwaltsgehilfin, die jedoch sehr typische Schablonen bediente. Der Mann Doug wird oftmals als das kulturell ignorante und unreife Manchild dargestellt, in seinem Handeln manipulativ und in manchen Fällen nur bedacht auf seine eigene impulsive Affektbefriedigung, auch wenn andere, insbesondere die eigene Partnerin, darunter leiden könnten. Seine Frau Carrie ist daher als Gegenpol die Vernünftige, die logisch argumentiert und immer wieder gegen das Verhalten ihres Mannes ankämpfen muss und daher, aus männlicher Sicht (und damit auch des Zuschauers), als die miesepetrige Spielverderberin dasteht.
Die Hölle das sind die anderen
Was in einer Sitcom noch komisch erscheinen mag, wäre in der Realität daher eine reichlich dysfunktionale Beziehung, zumal sich nicht alle Probleme immer einfach lösen lassen und Fehler so schnell vergessen sind. Aber in der nächste Folge ist alles wieder auf null gestellt und die „Komödie“ nimmt erneut ihren Lauf. Wenn man es genau bedenkt, wäre so ein Serienleben die reinste Hölle.
Das darzustellen schafft die diesen Sommer erschienene Serie „Kevin Can F**k Himself“ grandios.
Annie Murphy, die durch die amüsante Feel-Good-Serie „Schitt’s Creek“ zu größerer Bekanntheit gelangte, spielt Allison, die scheinbar das typische Ehefrauen-Dasein fristet, wie man es aus manchen Sitcoms kennt. Nur dazu da, den sprunghaft-manischen Launen ihres Mannes Kevin ausgeliefert zu sein und jedes Mal, wenn sie versucht etwas Vernünftiges entgegen zu setzen, im besten Fall ignoriert und im schlechtesten Fall als Mensch herabgesetzt wird. Neben Kevin gehören noch sein Vater Pete und der nicht ganz helle best Buddy Neil zum misogynen Chor. Die Nachbarin und Neils Schwester Patty ist ebenfalls zu Beginn keine große Hilfe für Allison und befeuert die Sticheleien der Männer noch in jovialer Weise.
Kevins Welt, die Allison seit Jahren unter Zurücksetzung ihrer eigenen Wünsche und Ziele erlebt, ist in ihrer Art sozusagen das schlechteste der Sitcom-Welt. Frauenfeindliche Witze, flache Dialoge, das typische zum Publikum ausgerichtete Sofa in einem gleichmäßig hell ausgeleuchteten Wohnzimmer mit Bühnendeko, die untere Mittelklasse signalisieren soll. Jeder in Kevins Einflussbereich erlebt die Welt in dieser Art.
Der harte Bruch findet statt, wenn die Protagonistin sich nicht mehr im gleichen Raum aufhält, und aus diesem bonbonfarbenen Zirkus im Multi-Kamera-Format eingefangen, heraustritt. Ihre eigene Welt ist düster und das Einzige was ihr bleibt, sind Träume von einem besseren Leben und der verzweifelte Wunsch nach Mord an ihrem Mann.
Und man kann es ihr nicht verdenken. Kevin ist herrisch, unreif, egozentrisch und hat die gesamten Ersparnisse für unnötigen Sport-Devotionalien-Plunder aus dem Fenster geworfen. Es drängt sich schon bald die Interpretation auf, dass nicht Allison in einer Sitcom lebt, sondern ihr Mann sich in seiner eigenen Sitcom Welt wähnt. Auch wenn es nicht explizit so aufgeschlüsselt wird, kann man das Sitcom Setting in seinem starken Kontrast zu Allison erlebter Realität nur als Visualisierung von Kevins narzisstischer Wahnhaftigkeit verstehen, in der kein Platz für irgendwen sonst ist.
Ebenso erfährt man in den Gesprächen über Kevin zwischen den Zeilen so einiges über Allisons Mann, das nahelegt, dass es in der Ehe nicht nur für sie immer sehr anstrengend zugeht. Es drängt sich vielmehr auch der Verdacht von missbräuchlichem Verhalten im Allgemeinen ihr gegenüber auf, was jedoch nie ausdrücklich so zur Sprache gebracht wird. Im Bewusstsein der Ernsthaftigkeit der Situation jedoch entspinnt sich innerhalb der Sitcom-Szenen nach und nach ein subtiler bedrohlich werdender Horror.
Und während ihr Mann in jeder Folge eine thematisch völlig neue Episode in seinem wahnsinnig „witzigen“ Leben durchlebt (Kevins Chillikoch-Wettkampf, Kevins Escape Room Geschäfts-Idee, Kevin gründet eine Band, etc.), die mehr oder weniger mit der Gesamthandlung zusammenhängen, schmiedet Allison einen Mordkomplott gegen ihn. Die Sitcom Sequenzen nerven zwar zunehmend, aber verbinden die durchaus dichte Story, die in ihrer Spannung fast an Serien wie Breaking Bad heranreichen.
Die reale Welt, die uns gezeigt wird ist auch ein Sittengemälde des Niedergangs der amerikanischen Provinz, die von Armut immer mehr zerfressene Mittelschicht und die Opioidkrise, die schon tausende Opfer gefordert hat. Daher ist es für Allison auch naheliegend, den Tod ihres Mannes als Selbstmord zu inszenieren und genug Oxycodon, ein Schmerzmittel mit hohem Suchtpotenzial, aufzubringen, um ihn ins Jenseits zu befördern. Ob oder wie sie das bewerkstelligt soll hier nicht verraten werden.
Alles hat seine Zeit
Der Serientitel ist im übrigen auch eine Anspielung auf eine andere Sitcom namens „Kevin Can Wait“, eine Show, in der nach der ersten Staffel die Serienehefrau off-screen getötet wurde, um für den Protagonisten Kevin (Kevin James, der Doug aus „King of Queens“) weitere erzählerische Möglichkeiten zu schaffen und seine Ehefrau durch seine ehemalige „King of Queens“ Serienehefrau Lea Remini zu ersetzen. Diese Serie floppte kolossal, wohl auch, weil das Format in dieser Form mittlerweile totgeritten wurde.
Die Serie in einem solchen Genremix zu realisieren ist auf jeden Fall mal ein neuer Ansatz und kommt somit vielleicht zur rechten Zeit, stellt sie doch auch den Versuch dar, mit einem langjährigen kulturellen Phänomen abzurechnen. Mit den hart kontrastierenden Welten, die wir zu sehen bekommen reißt „Kevin Can F**k Himself“ die Internalisierung von Sitcom-Normen und -Erwartungen unserer Realität der letzten 60 Jahre auseinander. Der krasse Gegensatz zwischen der ‚Kevin‘- und der ‚Allison‘-Welt wirft die Frage auf, wie sehr das US-Fernsehen eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit mit befördert und auch Menschen wie Kevin mit erschaffen hat, denn diese Art toxischer Männlichkeit wurde so über Jahrzehnte mit Komik als akzeptables Verhalten verkauft. Es ist also auch die Abrechnung mit dem überkommenen Typus des privilegierten weißen Mannes und der fatalistischen ‚Boys will be boys‘-Attitüde.
Die Serie kommt auch zu einer Zeit, in der man nun langsam mit etwas Distanz auf die USA der letzten Präsidentschaft schauen kann und wie es sich auf das Land ausgewirkt hat, als Bevölkerung von einem Präsidenten in seinem narzisstischen Wahn als Geisel gehalten worden zu sein. Denn auch dazu ziehe ich hier die Parallelen.
Somit bleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft viel öfter die weibliche Sicht (in diesem Fall die der Serienerfinderin Valerie Armstrong) in das Fernsehschaffen einfließt und tradierte Normen infrage gestellt werden.
„Kevin Can F**k Himself“ ist zur Zeit bei Amazon Prime zu sehen. Eine zweite Staffel ist bereits angekündigt.